Grundlagen einer spiritualitätssensiblen Sozialen Arbeit
Was gibt mir Kraft? Was trägt mich? Was begeistert mich? Wie kann Spiritualität in die professionelle Begleitung von Menschen integriert werden unter Wahrung der weltanschaulichen Neutralität?
Spiritualität kann sowohl eine Ressource wie auch ein belastender Faktor im Leben von Menschen sein, die mit existentiellen Krisen- und Krankheitssituationen konfrontiert sind. In allen Berufsfeldern der Sozialen Arbeit vom Kleinkind bis zur Seniorin ist die Klientel der Sozialen Arbeit häufig mit belastenden Lebenserfahrungen wie Trauma, Flucht, Ausgrenzung, Verlust, Abhängigkeit oder Krankheit und Tod konfrontiert. Die Frage was dem Leben Sinn und Kraft gibt, ist zentral und erfordert von den Professionellen Sozialer Arbeit Kompetenzen, um Spiritualität im Alltag Raum zu geben und in der sozialpädagogischen Prozessgestaltung systematisch zu berücksichtigen.
Spiritualität war in der Sozialen Arbeit bislang kaum ein Thema, sondern häufig mit Unsicherheit, Sprachlosigkeit oder sogar offener Ablehnung von Seiten der Fachleute verbunden. Dies obwohl der Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz festhält, dass zur Verwirklichung des Menschseins der Klientel neben der physischen, psychischen und sozialen auch die spirituelle Ebene zu berücksichtigen ist.
Spiritualität bezeichnet die Verbundenheit eines Menschen mit dem, was sein Leben trägt, ihn inspiriert und lebendig erhält. Das kann eine Verbundenheit mit Gott sein, mit einem Menschen, mit der Natur, mit einem Tier oder mit der Kunst. Angesichts der multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft und des Trends weg von institutionalisierter Religion zu individueller Spiritualität und weil das Leben der Klientel oft geprägt ist von existentiellen Grenzerfahrungen wie Zerbruch, Trauma, Flucht, Einsamkeit oder Abhängigkeit scheint es zwingend, dass die Soziale Arbeit Spiritualität in ihr Handeln integriert.
Diese Integration erfordert eine Soziale Arbeit, die spiritualitätssensibel ist, die einerseits den Ressourcen von Spiritualität Aufmerksamkeit schenkt und Entwicklungsräume schafft, in denen die Klientel einen selbstbestimmten Umgang mit Spiritualität entwickeln kann, aber andererseits auch spirituell geprägte Einengungen im Alltag wahrnimmt und das Notwendige unternimmt, wenn sie auf Radikalisierungstendenzen aufmerksam wird. Ausgangspunkt ist dabei die Spiritualität der Klientel, massgebend ist die Religionsfreiheit, das Selbstbestimmungsrecht und die spirituelle Mündigkeit der Klientel.
Weil Spiritualität einen besonders sensiblen Bereich der Identität bzw. den Kern des Menschen berührt, braucht es von Seiten der Fachleute eine Haltung der Wertschätzung, der Toleranz und der Neugier. Unerlässlich ist auch der Verzicht auf Beurteilungen und bevormundende Deutungen sowie der Respekt gerade auch bezüglich Spiritualität, die nicht dem eigenen Erfahrungshorizont entspricht. Nur so kann der Gefahr der Manipulation und des spirituellen Missbrauchs vorgebeugt werden.
Neben diesen individuellen Kompetenzen erfordert die Integration von Spiritualität einen strategischen Prozess, der die gesamte Betriebskultur einer Institution betrifft. Entscheidende Voraussetzungen dazu sind u.a. die ausdrückliche Unterstützung durch die strategische und operative Leitung, und das Schaffen von Raum für Austausch und Verständigung darüber, wie man diese Integration gestalten will.