Höhere Fachschule für Sozialpädagogik

Traumapädagogik: Selbstwahrnehmung statt Ohnmacht

Anfangs 2015 nahm ich an der Weiterbildung in Traumapädagogik teil. Über 2 Jahre lernten wir im Nachdiplomkurs einiges über Traumata, «gute Gründe», das dreigliedrige Hirn, sichere Orte, Versorgung, Transparenz, Partizipation, Gefühle, Therapieformen, Arbeitstools und vieles mehr. Wir brachten eigene Erfahrungen rein, erarbeiteten ein Praxisprojekt und eine Fallvorstellung.

Datum
5. November 2019

Dank der Weiterbildung bin ich gelassener geworden

Für mich war es eine relevante Weiterbildung, die meine Arbeit in der sozialpädagogischen Praxis sehr prägt. Ich bin gelassener geworden.

Ich habe die Tatsache erfasst, dass das Ausrasten eines Kindes, seine Ablehnung oder sein Davonlaufen nichts mit mir zu tun haben muss, sondern einen tiefen, guten Grund hat; das hat mich entspannt.

Kinder und Jugendliche, die fremdplatziert aufwachsen, haben zum Teil viel Traumatisches erlebt. Sie haben früh gelernt: Wenn ich nicht kämpfe, gehe ich unter. Sie haben Strategien entwickelt mit ganz schwierigen Situationen umzugehen und tun es nicht unbedingt so wie wir es verstehen. Es wird schnell laut oder je nach Kind ganz leise.

 

Die «grüne Linie» in der Traumapädagogik

Besonders die «grüne Linie» begleitet mich durch den Alltag. Die grüne Linie kann umschrieben werden als innerer Standpunkt oder innere Grundlinie des Erziehenden. Sie verläuft ziemlich horizontal. Sie hat, im Unterschied zum traumatisierten Kind, wenig Wellen, wenig Vertikale. Die Gefühle oder Standpunkte der Kinder können sehr hohe Wellen schlagen und tiefe Täler öffnen. Das verunsichert die Kinder selber zutiefst und natürlich auch mich als Pädagogin. Ich kann mich dann spezialisieren im Wellen (mit)reiten oder die entgegengesetzte Welle schlagen, damit die hohen Wellen des Kindes ausgeglichen werden sollen: Wenn das Kind im Hoch ist, sorge ich für Tiefe oder wenn das Kind im Tief ist sorge ich für Höhe. Beides macht mich sehr abhängig von seiner Gefühlslage. Ich bin dann wie auf Nadeln und warte mit meinem Neoprenanzug auf die Wellen.

Die grüne Linie zu beachten heisst, darauf zu achten, im ganzen Gefühlschaos sicher zu bleiben, die Wellen nicht mit zu gehen.

Die Kunst sich selbst wahr zu nehmen

Im letzten Jahr habe ich das «Wellenreiten» aufgegeben, meistens wenigstens. Ich versuche mich selbst zu bleiben. Ich bin ich, ich bleibe ich. Ich nehme mich selber mit meinen Stärken und Schwächen wahr und nehme mich an. Ich kenne meine Bedürfnisse und nehme sie ernst. Ich tue mir Gutes und gönne mir Pausen, pflege gute Beziehungen, lese spannende Bücher. Ich pflege Hobbies; das ist überlebenswichtig geworden. Ich versorge mich. Aus dieser Fülle, kann ich im Alltag schöpfen. Wenn ich auf der grünen Linie bleibe, kann ich Sicherheit geben, weil ich nicht mal so und mal so bin.

Ich kann meinem Gegenüber mit Respekt begegnen und bleibe handlungsfähig. Ich bin dann nicht mehr abwartend, sondern handelnd. Vor allem werde ich zum Gegenüber, das fassbar und berechenbar ist.

Ohnmachtsgefühle – ein Praxisbeispiel

Wir hatten ein Kind auf unserer Gruppe, das sehr viel Belastendes erlebt hat. Es war immer kurz davor, daran zu zerbrechen. Immer wieder wurde es sehr laut und sehr angriffig. Immer mehr Trigger sind mir begegnet. Ich bin oft über meine Grenzen hinaus, ich habe oft Dinge zu persönlich genommen. Ich bin viel zu viele Wellen mit geritten, auf Eiern getanzt und habe alles gegeben, damit es dem Kind gut gehen könnte. Nur hat es nicht geholfen. Die Ausraster des Kindes wurden immer massiver, die Verunsicherung auch. Meine Ohnmacht stieg proportional an.

Dank Traumapädagogik zu mehr Selbstentlastung

Dank dieser Weiterbildung in Traumapädagogik ist mir die grüne Linie immer wieder in den Sinn gekommen. Auch anderes: der gute Grund, der sichere Ort, Transparenz. Es hat mir geholfen, nicht die ganze Last und Verantwortung auf mich zu nehmen und daran zu zerbrechen.

Als Team haben wir Wege gefunden einander zu entlasten und zu unterstützen.

Dank dem wurden wir als ganzes Team tragfähiger und handlungsfähiger und konnten schliesslich mit diesem Kind den Weg gehen bis zu einem regulären Austritt ohne frühzeitigen Abbruch.

Fazit: Traumapädagogik schafft Entlastung und Verständnis

Ich bin sehr dankbar für all die Schätze an Wissen und an Erfahrung die ich sammeln konnte durch die letzten 6 Jahre. Ich kann diese Weiterbildung in Traumapädagogik allen empfehlen, die herausfordernden pädagogischen Situationen gegenüber stehen.

Der Nachdiplomkurs ist kein Kurs, der einem aufzeigt was man alles besser machen müsste, sondern ein Kurs, der durch Wissen und Arbeit an der eigenen Haltung, Entlastung und Verständnis schafft.

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